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Wettbewerb „Künstlerische Kommentierung Ernst-Thälmann-Denkmal" Berlin, 2019 (Entwurf)

Stahl, Kunststoff, Sound, Text, Licht

in Zusammenarbeit mit Berthold Seliger

 

Nähert man sich von der Greifswalder Straße her dem Denkmalsplatz, erblickt man dort rechts der Skulptur eine Telefonzelle, deren Proportionen seltsam vergrößert sind.

Die Tür lässt sich öffnen und beim Eintreten erklingt aus dem Hörer leise, aber klar vernehmbar das Lied „Anmut sparet nicht noch Mühe" von Brecht/Eisler, gesungen von Hanns Eisler selbst. *

Zwei Bücher liegen in der Telefonzelle:
Das eine enthält Informationen zu dem Lied und seiner Entstehung.
Das andere enthält eine Dokumentation über die Opfer rechter Gewalt in Deutschland seit 1990, die laufend aktualisiert wird.

Mit Einbruch der Dämmerung ist die Zelle innen beleuchtet.

Der Entwurf setzt der Theatralik und Massivität des Denkmals eine Inszenierung ganz anderer Art und Dimension entgegen.
Weithin sichtbar auf dem großräumigen Platz ist der schlichte, durchlässige Fremdkörper ein Gegenpart, der ebenso wie das Denkmal aus der Zeit gefallen zu sein scheint. Beim Näherkommen irritiert die Größe der Telefonzelle, der Besucher sieht sich „verkleinert" und wird zudem beim Eintreten mit einem Lied empfangen, das sich vornehmlich an ihn zu richten scheint.

„Anmut sparet nicht noch Mühe" entstand 1950 und entwirft mit scheinbar leichter Hand eine Utopie. Brecht und Eisler nahmen damit in den ersten Jahren der DDR ihre 1930 begonnene und im Exil nach 1933 fortgesetzte enge Zusammenarbeit wieder auf – das Ziel des gemeinsamen Produzierens war nichts weniger als die Veränderung der Welt – denn „sie braucht es".

Das Lied verwendet dafür weder den selbstgewissen kämpferischen Ton der Arbeiter- und Agitprop-Lieder der 1920er und 30er Jahre, noch hören wir in diesem Lied das vorsichtige Pathos der 1949 entstandenen DDR-Hymne von Johannes R. Becher („steigt ein frei Geschlecht empor"...), die ebenfalls von Hanns Eisler vertont wurde, und erst recht nicht das nationalistische Pathos des „Liedes der Deutschen" von Hoffmann von Fallersleben.

Die hier ausgewählte Aufnahme ist eher beiläufig entstanden und war nicht für eine Veröffentlichung vorgesehen. Eisler hatte keine „Stimme", aber er zeigt, wie er sich die Interpretation seiner Lieder wünscht: Mit „Intelligenz", weder schön gesungen noch virtuos gespielt, aber den Sinn des Liedes bis ins Detail hinein bewußt artikulierend. Eisler war fest davon überzeugt, daß jeder Mensch, „der kein Dummkopf ist", seine Lieder singen könne, sofern er sich bemühe, „Sentimentalität, Bombast, Pathos, Dummheiten aller Art zu vermeiden, den Text gut zu bringen und doch zu singen."
Und sein Gesang läßt noch etwas anderes spüren: 1955 mußte Eisler sich der Angriffe dogmatischer Kulturfunktionäre erwehren, die die Erstaufführung seiner Oper „Johann Faustus" verboten. Und die Enthüllung der Verbrechen des Stalinismus haben Eisler ebenfalls sehr bedrückt (heute wissen wir, dass Stalin den Austausch Thälmanns verweigerte, sodass Thälmann nach mehr als elfjähriger Gefängnis- und KZ-Haft in Buchenwald auf direkten Befehl Hitlers ermordet wurde).

Im Umfeld der „Faustus-Debatte" notierte Eisler 1953: „Es ist ein Jammer, wenn man die Geburtswehen einer neuen Gesellschaft betrachtet. Wieviel Mut, Talent, Disziplin, Heroismus, wieviel härteste Arbeit, wieviel Intelligenz und wieviel Dummheit! Große Erfolge, die wieder durch unsägliche Fehler in Frage gestellt werden!"

Man kann Eislers Gesang in „Anmut sparet nicht noch Mühe" förmlich anhören, dass das Wissen um die Verbrechen des Stalinismus, um die gesellschaftlichen Widersprüche in der DDR, um vermeintlich eherne Gewissheiten, ja, dass Zweifel mitschwingen, wenn er dieses dennoch hoffnungsvolle Kinderlied anstimmt.

https://www.youtube.com/watch?v=a7GkiBcPz1s
In Rehearsal with Hanns Eisler: Anmut sparet nicht noch Mühe