Konsum Ziezow
Installation, Ziezow, 1995
Ehemaliger Konsum-Laden
Casettenrekorder
Sprecher: Christian Kesten
Im Ziezower Konsum scheint die Zeit seit dem Mauerfall stehen geblieben zu sein, eine Verbindung zum Jetzt nicht mehr möglich. Es ist ein aus der Zeit gefallener Ort mit einer ratlosen, melancholischen Atmosphäre.
Für die Installation wurde im Laden nichts verändert – es ist lediglich eine über Tonband eingespielte Stimme hinzugefügt. Sie spricht eine Collage aus Texten* von verwirrten Personen:
Wann wurden Sie geboren?
- Was war das? Lag hier auf'm Tisch und wurde dann umgesetzt, nicht?
Ich frag mich gerade, wie alt Sie etwa sein mögen?
- Könnt...kann sein, ja. Das hab ich so schnell nicht verarbeiten können.
Das ging nicht.
Welcher Geburtsjahrgang sind Sie denn?
- Eins... Das das ja alles jetzt so Sachen, die jetzt so langsam durchsickern. Die muss man erst wieder zusammenbauen. Äh 96, ja...ja 96 war's, es war 96. Oder ich spinne... Weil ich weiß, bei der, die die... Das ist zu groß, man kommt da nicht...Da sind so viele Sachen zwischen. Sachen, nicht? Da kommt das nicht so schnell wieder ins Gehirn rein.
Ja, meine Schwester ist hier gewesen. Ja und die war auch weg im Urlaub,
kam, denn die war abgelegt, das ging alles nicht so bei uns. Und da mal wissen bin ich denn ich konnt ja alleine nicht bleiben, denn Essen und so was konnt ich mir gar nicht richtig machen, das klappte erst nicht. Bis nachher dann da hab ich dann gesagt ja ich will wieder in die Wohnung rein, da war's denn besser auch wurde es dann, und ich seh das auch besser dass ich draußen blieb, verstehen Sie, als wenn ich bei Fremden, das taugt nicht, na ja und meine Schwester die wenn sie hier ist und sie hilft denn mal und so wenn es denn mal was gemacht werden muss und so geht es dann.
Seit wann sind Sie jetzt hier bei uns, Herr S.?
- Ja.
Was haben Sie denn so gemacht in Ihrem Leben früher?
- Ja...das stimmt auch und meine Kinderchen.
Haben Sie noch gearbeitet in Stade?
- Ja, ja.
Bei was für einer Firma denn?
- Ja, ich hab geschafft bis 65.
Wo sind Sie geboren?
- Ja das weiß ich nicht...dass dass es meine Mutter gewohnt ist, das weiß ich.
Ja, ich seh das ja hier wie wir, das das stimmt ja nun nicht, aber bevorses hier, das ist ein das hier, der vorhin ist davon weg, damit ich nu sehen kann, das ist die Tür, sie die Tür schließt das mittem Schorftrecker und sieht dann die früher machen müssen, die Apparate.
Wie alt sind Sie denn?
- Wo?
Wie alt sind Sie?
- Ja, ich bin jetzt die Woche hier
vom – im Dezember bin ich geboren jetzt –
Ja, in welchem Jahr sind Sie denn geboren? Neunzehnhundert...
- Wann, nachher?
Wann sie geboren sind, Ihr Geburtsdatum...
- Ja...ein...ich bin ausm Reisl... Rheinländisch Westfalen...aus Deutschland.
Nachrichten und Tagesschau sind viel zu schnell. Neulich kam was über Guatemala. Guatemala? Ich grübelte über das Wort und da waren die Nachrichten schon ganz woanders. Ich weiß nicht, was mit Guatemala los war. Und alles danach hab ich auch nicht mehr gehört.
Ja das kann ich Ihnen sagen, dass ich Beschwerden habe. Na ich muss mal anders...ich glaube man sollte bei Null beginnen und nicht bei oben. Es ist so: gegenüber früher möcht ich erst einmal sagen über den ganz großen Beginn erst mal als ich ankam ist es natürlich ganz entschieden ein Unterschied...heute besser als früher, wollen wir gar nicht drüber debattieren.
Herr S., wie viele Kinder haben Sie?
- Wie viel ich verdiene, im Sack...oder...
Nee, wie viel Kinder Sie haben. Sie haben mir vorhin erzählt, Sie haben Ihre Kinder besucht. Haben Sie eine Tochter?
- Ja.
Oder haben Sie einen Sohn?
- Ja ich war...
Haben Sie Kinder, Herr S.?
- Ich war nach dem Krieg in der Banje...im Bell...in einem größten Hotel...in Badenbult...Und in Eisenach...die lebt doch?
Ich will Ihnen mal etwas...nein ich will...ich will Ihnen mal etwas erzählen. Das das ist vielleicht auch ne Fabel, es war mal eine Spinne...
Und die Spinne die konnte zuerst keine Fliege kriegen...und sie sie krabbelte den Berg hoch...aber sie konnte immer nichts kriegen...und dann war sie auf einem hohen Baum gelandet...und unverhofft blieb sie an einem seidenen Faden hängen.
Und diesen Faden wenn man den verliert...da kann ich nur noch eines darauf sagen...diese Spinne...so grausam der Himmel sein kann...so grausam ist auch sind auch diese Spinne. Könnte das sein?
* Die Texte wurden, teilweise überarbeitet, folgenden Quellen entnommen:
Angela de Friderici: „Neuropsychologie der Sprache”
Luise Lutz: „Das Schweigen verstehen. Über Aphasie”
Klaus Poek (Hg.): „Klinische Neuropsychologie”
V.M. Roth (Hg.): „Sprachtherapie”
Vincentz-Verlag (Hg.): Video „Alzheimersche Krankheit”